Morgen Abend um 19 Uhr halte ich eine Multivisionsshow über meine Reiseerlebnisse der letzten drei Jahre in Köln: Backpack Stories - Ein Tag um die Welt. (Tickets gibt's hier)
Ich habe mir zum Ziel gesetzt, neben den euch bereits bekannten Stories auch ein paar, bislang unerzählte Geschichten mit ins Programm zu nehmen. Eine davon - von meinem Rückweg vom Nordkap -
gibt es heute vorab auf meinem Blog:
Ich warte keine zwei Minuten, da hält ein typischer alter Kleinbus mit Riss in der Scheibe an. Ich habe ihn schon von Weitem gesehen und war mir sicher, dass ich hier Glück haben werde.
Glück habe ich tatsächlich in mehrerlei Hinsicht.
Ich bin auf dem Weg, auf die Lofoten. Ein kleiner Abstecher auf meinem Rückweg vom Nordkap nach Deutschland. Fahrer Pat ist Kletterer. Er kommt aus Schweden. Er war bereits zwei Wochen auf den Lofoten und hat nur kurz seine Freundin zurück nach Schweden gebracht, die sich nicht so lange frei nehmen konnte, wie er. Jetzt hat er noch eine weitere Woche um die Berge der Inselgruppe zu erkunden.
Auch ich möchte auf den Lofoten wandern gehen, doch kenne mich hier nicht aus. Auf die Lofoten zu kommen war eine spontane Entscheidung, nachdem mir mindestens 10 Lifts vorgeschwärmt haben, wie schön es dort sei. Pat scheint Experte zu sein und hat direkt ein paar Vorschläge für schöne Wandertouren für mich. Später finde ich heraus, dass Pat hier ein paar Jahre gearbeitet hat. Er schläft in seinem Kleinbus und kocht auf dem Gaskocher, um möglichst autark zu sein und wirklich die ganze Zeit die Natur genießen zu können, statt nur von Dorf zu Dorf zu hoppen.
Genau mein Ding. Als er mich einlädt, sich ihm anzuschließen, zögern ich nicht lange. Wir finden ein schönes Fleckchen am Meer, wo ich mein Zelt neben seinem Kleinbus aufbaue.
Wir sammeln ein wenig Holz aus den umliegenden hängen. Es ist feucht, doch nach ein paar Minuten haben wir das Feuer weit genug angeheizt, dass auch das feuchte Holz brennt.
Es ist einer dieser Abende, mit denen ich mir die Frage nach dem Warum beantworte, wenn das Abenteuer mal nicht so glatt läuft. Wir sitzen lange vor Pats Kleinbus am Feuer, Blicken aufs Meer raus, auf dem sich die Sterne spiegeln und Reden über die unglaubliche Faszination der norwegischen Landschaft.
Am nächsten Tag wollen wir zusammen wandern gehen, um diese zu erkunden.
Die Lofoten lassen sich am ehesten als Karibik in arschkalt beschreiben. Es gibt feine, weiße Sandstrände. Das Wasser ist glasklar, die Berge sind grün. Spätestens, seit Pat mir von dem Anblick vom Berggipfel vorgeschwärmt hat, kann ich es kaum noch erwarten, die Inseln von oben zu sehen!
Am nächsten Morgen ist die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass es schwer zu sagen ist, ob es regnet oder nicht. Wir folgen einigen hundert Metern der Straße, bis Pat auf einen kaum sichtbaren Trampelpfad abbiegt, der den Berghang hinauf führt. Der Pfad ist von Gras und Sträuchern überwuchert und wird wohl kaum noch von Menschen genutzt. Ohne Pat hätte ich ihn vermutlich nie gefunden. Der Weg wurde ursprünglich nicht als Wanderweg angelegt, sondern als Weg für die Minenarbeiter, die in den Bergen nach Eisen gesucht haben. Sie hab nie welches gefunden und so wurde die Mine schon nach wenigen Jahren stillgelegt. Heute scheint der Pfad vor allem vom Wild begangen zu werden.
Nach einer Dreiviertelstunde des Laufens, erreichen wir eine grasbedeckte Ebene, mit einer kleinen Ruine, aus großen, schwer aussehenden Natursteinen, die vermutlich zur Mine gehörte. Die Ruine besteht nur aus einer, etwas mehr als einen Meter hohen Grundmauer. So schwer, und unerschütterlich, wie die Steine wirken, ist es schwer vorstellbar, dass das Gebäude eingestürzt ist. Vermutlich wurde der Bau zeitgleich mit der Mine gestartet. Als man der Mine den Rücken kehrte, wurde er nie fertiggestellt.
Während ich noch auf der Mauer balanciere, lässt Pat seinen Blick konzentriert über den Berghang gleiten, ganz so, als würde er etwas suchen. „Irgendwo dort muss sie sein.“, sagt er. „Muss was sein?“, frage ich.
Statt mir eine Antwort zu geben, beginnt Pat, einen Geröllrutsch hochzuklettern. Mit viel Fantasie, könnte man hier in dem Geröll vielleicht einen Weg sehen, aber Pat muss doch klar sein, dass spätestens auf halber Höhe des Berghanges Schluss ist. Auf diesem Weg erreichen wir sicher nicht den Gipfel. Zu steil steigt die Felswand hinter dem Geröllrutsch an. Das scheint Pat genauso zu sehen. Statt den Aufstieg weiter fortzusetzen, hockt er sich nach einigen hundert Metern, zwischen die, von Farnen und Moosen überwucherten Steine, vermutlich um Luft zu schnappen.
Ich drehe mich um, um den Ausblick zu genießen. Das Meer ist hinter einer Bergkuppe versteckt. Nichtsdestotrotz, ist die Aussicht fantastisch! Ein Bergsee reiht sich an den Nächsten. Die Blaubeersträucher und anderen Bodendecker, sind von einem so frischen, saftigen Grün, dass ich mich instinktiv an Plastikpflanzen erinnert fühle. Ich fühle mich, als wäre ich über Nacht unter einen Schrumpfstrahler geraten und würde eine Modelllandschaft erkunden. Alles wirkt fast schon etwas zu perfekt: das gleichmäßige Braun der Erde, die Felsen, die hier und dort aus dem dichten, weichen Moosteppich ragen. Gleichzeitig war ich selten so sehr mit allen Sinnen im Hier und Jetzt. Der kalte Wind auf der Haut, der frische salzige, leicht waldige Geruch in der Nase und der mal harte, steinige, mal federnd weiche, erdige Boden unter meinen Schuhen, verbinden mich mit der Umgebung und verankern mich im Moment. Freudestrahlend drehe ich mich zu Pat um, um zu sehen, ob er genauso begeistert ist, wie ich - doch Pat ist verschwunden. Ich bin mehr als verdutzt.
Die Sträucher sind nicht mehr als hüfthoch und stehen nicht sehr dicht. Ich habe einige hundert Meter Sicht in alle Richtungen. Unmöglich, Pat zu übersehen. Doch er bleibt verschwunden.
In meinem Kopf kreisen die Gedanken. Was kann Pat zugestoßen sein? Finde ich den Rückweg alleine, um Hilfe zu holen? Aber nein, er ist nicht abgestürzt. Ich kann doch den gesamten Hang überblicken. Wo zur Hölle steckt Pat? Plötzlich höre ich seine Stimme, keine drei Meter von mir entfernt: „Hast du ne Taschenlampe dabei?“ Ich zucke so heftig zusammen, dass ich fast rücklings den Hang hinuntergekippt wäre. Ich starre in die Richtung, aus der ich die Stimme vernommen habe. Dort befindet sich, von Steinen fast verschüttet und von Büschen verdeckt, ein Loch im Gestein. Es ist grade groß genug, um auf dem Bauch liegend hindurch zu robben. Ein kaltes, dunkles, nasses Loch. Nicht sehr einladend. Ich zwänge mich durch die Öffnung. Dort wartet Pat schon auf mich, mit einem Gesichtsausdruck, wie bei einem Kind, dass den geheimen Keksvorrat vor Weihnachten entdeckt hat.
Tatsächlich habe ich aus Sicherheitsgründen eine Taschenlampe mitgenommen. Nachdem ich bei meiner Alpenüberquerung letztes Jahr dank schlechter Zeitplanung von der Dunkelheit überrascht wurde, habe ich sie jetzt bei jeder Wanderung dabei. Als ich die Lampe einschalte, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich verstehe, was Pat gesucht- und nun auch gefunden hat: Vor uns liegt der alte Minenschacht. Als ich Pat anschaue, sehe ich in seinen Augen dieselbe Abenteuerlust aufflackern, die die Mine in mir weckt. Der verlassene Gang, dessen Ende nicht auszumachen ist, schreit förmlich danach, von uns erkundet zu werden.
Pats neonblauen Rucksack lassen wir vor dem Eingang liegen, damit man uns leichter finden kann, falls irgendetwas passiert. Ich muss mir jedoch eingestehen, dass niemand weiß, wo wir sind, und was wir vor haben. Wenn wir verschüttet würden, würde es vermutlich Jahre dauern, bis uns jemand hier finden würde. Nicht daran denken.
Der Gang ist mit knöcheltiefem Wasser gefüllt. Ich ziehe meine Schuhe aus, knote die Schnürsenkel zusammen und hänge sie mir wie einen Schal um den Hals. Pat tut dasselbe. Dann beginnen wir unsere Erkundungstour in die Dunkelheit. Das Wasser ist kalt. Eiskalt. Es ist Schmelzwasser der Schneeflecken wenige hundert Meter über uns am Hang. Innerhalb von Sekunden sind meine Füße taub. Es ist ein komisches Gefühl. Wenn ich meinen Fuß aufsetze, weiß ich, dass ich den Grund berühre, da ich den Gegendruck in den Muskeln spüre. Von meinem Fuß selbst spüre ich rein gar nichts. Das Laufen ist schwierig. Jeder Schritt muss geplant werden. Der Grund des Wassers ist mit Steinen und Vorsprüngen gespickt. Da ich ihn nicht ertasten kann, rutsche ich mehrmals ab, gerate ins Wanken und muss mich an der glitschigen Felswand festhalten. Vor uns wird das Wasser immer tiefer. Meine Waden verkrampfen sich, ich gerate erneut ins taumeln und verliere nun endgültig das Gleichgewicht. Ich beschließe, dass es zu gefährlich würde, den Weg fortzusetzen und kehre um. Ich biete Pat an, draußen auf ihn zu warten, doch es scheint ihm ähnlich zu gehen, wie mir. „Ich komme im Frühjahr wieder, wenn das Wasser gefroren ist.“, sagt er.
Abenteuer ja, Selbstmord nein. Beim Anziehen der Socken, bemerke ich, dass mein linker Fuß blutet. Ich habe ihn mir wohl an den Felsen aufgeschnitten. Ich sehe den Riss in der Haut, doch selbst wenn ich mich darauf zu konzentrieren versuche, spüre ich rein gar nichts.
Die Luft außerhalb der Höhle, die mir vorher noch so kalt vorkam, empfinde ich jetzt als angenehm warm. Nicht einmal der einsetzende Regen stört mich, beim weiteren Aufstieg.
Als wir den Berggipfel erreichen, sind wir in dichten, weißen Nebel gehört. Nichts als undurchdringliches Weiß umgibt uns. Keine Chance auf den Ausblick, von dem Pat gestern geschwärmt hat. Das ist mir jedoch inzwischen egal. Im Geiste bin ich noch bei der Mine. Wie weit wir wohl gekommen wären? Wie tief führt dieser Gang in den Berg?
Dieses Mal, konnte ich der Mine diese Geheimnisse nicht entlocken, doch mein Ehrgeiz ist geweckt: Bei meiner nächsten Reise auf die Lofoten, werde ich mit der entsprechenden Ausrüstung zurück kehren und den Weg fortsetzen.
Jetzt geht es für mich jedoch erst einmal zurück an die Straße. Daumen raus. Nächste Station: Trondheim!
Hast du dich auf einer deiner Reisen schonmal wie ein Entdecker gefühlt? Schreib' es in die Kommentare!
Diese Story ereignete sich auf meinem Rückweg vom Nordkap per Anhalter zurück nach Deutschland.
Über den Hinweg habe ich die Reisedoku "Hyperborea - Per Anhalter zum Nordkap" Produziert.
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Hier der Trailer zum Film:
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