Abbruch, Rückkehr und neue Pläne

Das Zelt Tarptent ProTrail von innen
Bild vom Vorabend

Gefühlt 10 Minuten nach dem Einschlafen wache ich auf. Es ist stockfinster. Der Schlafsack ist eiskalt. Ich zittere am ganzen Körper.

Mein Plan, das Tarptent möglichst luftig aufzubauen, damit der Schlafsack trocknen kann ist wohl nicht ganz aufgegangen. Stattdessen hat der eisige Wind neues Regenwasser hineingepeitscht und die Temperatur des klitschnassen Daunenschlafsackes auf fast "null" gesenkt.

Wenn ich hier bleibe, erfriere ich! Ich muss mich so schnell wie möglich bewegen.

Also packe ich im Schein der Taschenlampe zusammen, um zurück nach Echternach zu laufen.

Beim Stopfen von Zelt und Schlafsack in ihre jeweiligen Packsäcke, muss ich immer wieder innehalten und meine Hände in den Hosentaschen wärmen. Durch das eiskalte Wasser, dass sich aus dem Stoff drückt, werden sie zu taub um zu greifen.

Die krummen Bäume ragen wie drohende Finger in den nachtschwarzen Himmel auf. Im Unterholz raschelt es, während der Wind in den Bäumen heult. Immer wieder bilde ich mir ein, Schritte gleich hinter mir zu hören und einen kalten Atem im Nacken zu spüren, doch wenn ich mich umdrehe, sehe ich nichts als Schwärze.

Die LED des SteriPEN, die ich als Taschenlampe verwende, streut das Licht wie eine Laterne. Völlig ausreichend, um zu sehen, wohin ich trete, doch alles, was weiter weg ist, als fünf Meter, verschwindet in undurchdringlichem Schwarz. Gruselig!

Wald Horror
Blick in den Himmel am Vorabend

Ich kann nur hoffen, auf dem richtigen Weg zu sein. Der steile Hang, den ich gekommen bin, ist nach dem Regen und noch dazu im Dunkeln unpassierbar, doch auch auf dem Weg lauern Hindernisse. Bei dem Sturm gestern, wurden etliche Bäume einfach entwurzelt. Immer wieder muss ich über glitschige Baumstämme und durch dichtes Astgewirr klettern.

Irgendwann tauchen tief unter mir die ersten Lichter auf.
 Ich habe komplett das Zeitgefühl verloren, aber ich muss so um die zwei Stunden gelaufen sein. Echternach ist still. Kein Mensch ist wach, kein Laden erleuchtet. Ich laufe durch die Gassen, als würde ich sie zum ersten Mal sehen. Schließlich erreiche ich die steinerne Brücke nach Echternacherbrück, die Grenze nach Deutschland und passiere sie.

Auf der anderen Seite angekommen, schließe ich einen Moment die Augen und hohle tief Luft.

Ich zucke zusammen als plötzlich eine Tür gleich neben mir aufschwingt. Sie gehört zu einer kleinen Bäckerei, die bereits hell erleuchtet ist. Inzwischen habe ich mich zwar etwas warmgelaufen, aber ich bin immer noch klitschnass, weshalb mir die warme Bäckerei sehr gelegen kommt.
Die Uhr an der Wand verrät mir, dass es 5 Uhr ist. Perfekte Zeit zum Frühstücken!

Ich kaufe alles, was irgendwie süß und klebrig ist. Mein Frühstück besteht aus dick mit Zuckerguss überzogenen Amerikanern, mit exotischer Marmelade gefüllten Berlinern, Quarkbällchen, herrlich duftendem Kaffee und Bananenmilch, die ich auf dem Stehtisch abstelle und an die Heizung gelehnt verschlinge. Die ältere der beiden Bäckerinnen mustert mich dabei. „Wo soll's denn hingehen?“

Über diese Frage habe ich mir bislang noch gar keine Gedanken gemacht. Die Alpen sind durch die Jahreszeit bereits ausgeschieden. Osteuropa wäre eine Option. Aber zuerst müsste ich irgendwo ein paar Tage ins Hotel um meine Ausrüstung auf Vordermann zu bringen. Mit tropfnassem Schlafsack macht die Weiterreise keinen Sinn. Vor den Abi.-Prüfungen würde dann allerdings kaum noch Zeit für die Weiterreise bleiben.

Ich bin ohnehin nur 170 Kilometer von Zuhause entfernt. Wenn ich gut durch komme, kann ich heute Mittag schon zu Hause sitzen und meine nassen Sachen trocknen. Dann vielleicht noch ein paar Tage in unser Ferienhaus in Holland fahren und meine Reise in zwei Wochen, nach den Prüfungen irgendwo fortsetzen, wo das Wetter besser ist, als hier.

„Nach Leverkusen.“, antworte ich also auf die Frage nach meinem Reiseziel. „Dann musst du auf die Autobahn. Unser Fahrer kommt um 7. Der kann dich mit zur Autobahn nehmen.“

Na das ist doch schon mal ein perfekter Start! Auf die Autobahn zu kommen ist schließlich immer das Schwierigste beim Trampen. Ich warte bis 7 Uhr, der Fahrer kommt. „Nimm den Jungen mit. Der will nach Köln.“, empfängt ihn die Bäckerin. Wie angewurzelt bleibt der Fahrer in der Türe stehen. Er mustert erst mich ausgiebig, dann die Bäckerin. „Darf ich das denn? Ist der denn versichert?“

Ein häufiges Problem beim Trampen ist, dass die Autofahrer dafür haften müssten, wenn mir auf der Fahrt etwas passiert. Komische Regelung, die natürlich viele Fahrer davon abhält, Tramper mitzunehmen. Lachend versichere ich dem Fahrer, dass ich ihn nicht verklagen werde. Er schaut immer noch skeptisch, aber unter dem anklagenden Blick der Bäckerin, willigt er schließlich ein, mich mitzunehmen.
 Der Fahrer Achim scheint sich nicht so recht ins Trampen hineinversetzen zu können. Er betont immer wieder, dass der Weg über die Landstraße ein paar Kilometer kürzer ist, als der über die Autobahn. Beim Trampen zählt jedoch nicht die Entfernung, sondern das Erwischen eines guten "Lifts". Und die Wahrscheinlichkeit einen solchen zu finden, ist auf der Autobahn deutlich höher, als auf der Landstraße, wo die Meisten nur ins nächste Dorf fahren.

Achim steht jeden Morgen um drei Uhr auf, um die frischen Brötchen zu Campingplätzen und Jugendherbergen zu fahren, in der Hauptsaison manchmal schon um 1 Uhr. Frau und Kinder hat er nicht, daher macht es ihm nichts aus.
 Achim hält an einer Raststätte um zu tanken. Sie ist nicht direkt auf der Autobahn, aber sehr belebt. In Luxemburg ist der Sprit durch die niedrigen Steuern deutlich günstiger, als in Deutschland, weshalb alle Fahrer nochmal schön voll tanken, bevor sie über die Grenze fahren. 

Ich will mich schon von Achim verabschieden, doch dieser sagt, er fahre noch ein ganzes Stück in meine Richtung. „Da kommen noch mehr gute Plätze.“


Das „ganze Stück“ in meine Richtung sind dann leider doch nur drei oder vier Kilometer und der „gute Platz“ ist eine Parkbucht am Straßenrand. Außer dem LKW, dessen Fahrer Wohl eine Parkbucht zum Übernachten brauchte, hält hier kein Mensch. Immerhin: Inzwischen ist die Sonne aufgegangen.

Die aufgehende Sonne über den Feldern ist wunderschön. Der Anblick macht mich fröhlich. Besonders dankbar bin ich für die wärmenden Strahlen, denn noch immer ist es ziemlich kalt. So kalt sogar, dass es anfängt zu schneien. An der Straße vor der Parkbucht stehend, muss ich immer wieder Daumenraushaltpausen machen, da ich das Gefühl habe, der Daumen im kalten Wind würde jeden Moment gefrieren und abbrechen.

Zeiten für diese Pausen zu finden ist nicht schwer, da sowieso nur alle paar Minuten ein Auto vorbeikommt. Ich hüpfe auf der Stelle, laufe auf und ab, mache ein paar Liegestütz und hüpfe wieder auf der stelle, um mich aufzuwärmen. Verdammt ist das Kalt.
 Nach gut einer Stunde bringt ein haltendes Auto die Erlösung. Puh, bin ich erleichtert, hier wegzukommen. Noch glücklicher bin ich, als ich höre, dass die Fahrt durch Leverkusen geht.

Wow, in einem durch von der Luxemburger Grenze bis nach Leverkusen. Was für ein unglaubliches Glück!
 Auch mit meinem Fahrer habe ich Glück. Hans ist freundlich und aufgeschlossen. Er kommt aus Holland, spricht jedoch fließend Deutsch. Er hat nach einem schweren Autounfall vor drei Jahren, seinen Job verloren und sich kurzerhand selbstständig gemacht, jetzt vertreibt er Wasserrutschen in halb Europa. Ein nervenaufreibendes Projekt, denn an den Deals hängt eine Menge. Die meisten Unternehmen verkaufen große Stückzahlen, er lebt von vielleicht 8 Geschäftsabschlüssen im Jahr. Trotzdem, oder grade deshalb hängt eine Menge Zeit in diesem Job. Hans sagt, man müsse immer up do date sein, denn die meisten Aufträge würden bereits unter der Hand vergeben werden, bevor es zur offiziellen Ausschreibung kommt. Neben den unzähligen Stunden der Recherche verbringt er seine Zeit vor allem mit den Autofahrten zu den potenziellen Kunden. „Irgendwann hol ich mir nen Studenten, der mich fährt und 'nen Internetstick.“, sagt er. Wenn er die Recherche auf den Fahrten erledigen könnte, könnte er seine Arbeitszeit fast halbieren.
Die Zeit vergeht wie im Flug, während wir uns über unsere Lieblingsbands, Religionen und verrückte Regelungen in den verschiedenen Ländern Europas austauschen. Hans ist entsetzt, dass sogar deutsche Discos an Karfreitag geschlossen haben. „Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter! Wie war das noch mit der Trennung von Kirche und Staat?“

Unterdessen fahren wir durch eine eingeschneite Eifel-Landschaft. Ich bin froh, meine Tour nicht mit nassem Schlafsack fortgesetzt zu haben. Als ich in Leverkusen ankomme bin ich zwar traurig, dass meine Reise vorbei ist, freue mich aber um so mehr auf die nächste, die mich in die Sonne führen wird.

Inzwischen habe ich mich auch entschieden, wo es hingehen soll: Kanaren, ich komme!


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