Es ist noch dunkel um mich, als ich aufwache. Der Schlafsack ist klitschnass. Es hat in der Nacht geregnet und das eisige Wasser ist durch das Fliegengitter des unaufgebauten Zeltes gelaufen. Ein gemütliches Aufwachen sieht anders aus. Zumindest habe ich eine Motivation, sofort aufzuspringen, alles einzupacken und weiter zu laufen.
Wieder einmal bin ich froh, dass meine Regenjacke atmungsaktiv ist. Schnell wird mir warm und die Daunenjacke beginnt unter der Regenjacke zu trocknen. Als die Sonne aufgeht, habe ich schon einige Kilometer zurückgelegt. Nicht mehr weit bis zur Autobahnauffahrt. Die ersten Menschen verlassen ihre Häuser, um zur Arbeit zu gehen. Ich erreiche die Auffahrt. Eine freundliche belgische Auffahrt, wie in Gent. Breit und mit Parktaschen, perfekt zum Anhalten. Die Leute hier sind so tramperfreundlich, dass, kaum bin ich an der Auffahrt angekommen, gleich zwei Autos halten. Der Herr im ersten Auto fährt leider in die falsche Richtung. Die Dame im zweiten Auto, fährt genau auf die richtige Autobahn.
Ilse ist ihr Name. Ich unterhalte mich mit ihr in einer Sprache, die ich auf dieser Tour bisher noch gar nicht gebraucht habe: Italienisch. Ilse ist keine Italienerin, aber sie liebt Italien. Besonders die Toskana. Den guten Wein, das leckere Essen und die leidenschaftlichen Männer. Ilse war mit einem Italiener verheiratet, ist aber nach Brüssel zurückgekehrt, wo sie neu geheiratet und eine Tochter bekommen hat. Diese ist inzwischen 20 Jahre alt und führt ihr eigenes Leben. Ilse und ihr Mann wohnen auch nicht mehr in Brüssel. Sie sind aufs Land gezogen, weil der Wohnraum in Brüssel so teuer geworden ist. Ilse sagt, es sei ihr anfänglich sehr schwer gefallen, Brüssel hinter sich zu lassen, aber jetzt liebt sie das Land und die Ruhe. Nur noch selten fährt sie in die Stadt, wie jetzt, um den Zahnarzt ihres Vertrauens aufzusuchen oder eine Shoppingtour mit ihrer Tochter zu machen. Dabei wohnt sie gar nicht weit weg von Brüssel. Schon bei der zweiten Abfahrt verlässt sie die Autobahn wieder. Mich lässt sie bei einer großen, belebten Raststätte raus. Sehr vielversprechend. Das Trampen läuft wie am Schnürchen. Ich warte fünf Minuten und werde 30 Kilometer mitgenommen. Hier warte ich wieder 5 Minuten und werde bis nach Luxemburg mitgenommen. Fünf Minuten warten und ich bin auf dem Weg zur deutsch-luxemburgischen Grenze, 20 Kilometer von Echternach entfernt. Es ist grade einmal 9Uhr und ich bin fast am Ziel. Das beste: Die Sonne scheint! Es ist allerdings extrem windig.
Weil es noch so früh ist, entschließe ich mich, ein Stück zu Fuß zu laufen. Auch hier scheint es geregnet zu haben. Die Sonne glitzert in den Pfützen. Gierig sauge ich die klare Luft ein. Die Luft schmeckt süßlich und durftet nach Blumen, ganz anders als die bitter-saure Großstadt-Luft.
Schnell finde ich einen Weg, abseits der Straße, der in die richtige Richtung führt. Durch eine sanfte Hügellandschaft, über Felder, Weiden und kleine Wäldchen laufe ich immer weiter meinem Ziel entgegen. Regenschauer und Sonnenschein wechseln dabei im Minutentakt. Immer wieder frischt der Wind auf, dass ich glaube, jeden Moment von den Füßen gehoben zu werden, um dann wieder einer völligen Windstille zu weichen. Hey, der April beginnt erst morgen!
Der Weg, auf dem ich bin, führt mich leider nicht nach Echternach, sondern bringt mich in einer langen Kurve genau dahin, wo ich losgegangen bin. Hier entdecke ich auch das Schild: "Mountainbike-Runde". Das war wohl nichts. Aber das Wandern hat gut getan und es ist grade einmal Mittag. Zeit zu trampen!
Die Straße eignet sich perfekt zum Trampen kürzerer Strecken. Den Fluss auf der einen Seite, die Weinhänge auf der anderen, lässt es sich hier gemütlich per Anhalter von Dorf zu Dorf reisen.
Ich finde eine Parkbucht, ein guter Ausgangspunkt. Inzwischen regnet es leider schon wieder eine ganze Weile. Der Regen wird immer stärker und auch der Wind nimmt zu. Es ist schon fast zu viel verlangt, jemand tropfnassen wie mich, in sein trockenes Auto zu lassen, das muss ich selbst einsehen. Die Autofahrer scheinen das genauso zu sehen.
Der Wind nimmt weiter zu. Ich kann mich kaum noch halten. Mein Rucksack rollt über den Asphalt. Der Regen peitscht mir ins Gesicht, von den Bäumen rieseln die ersten Ästchen. In der Parkbucht beginnt sich das Wasser zu sammeln. In einer kurzen Sturmpause, gelingt es mir, ein Foto zu schießen, dann geht endgültig die Welt unter. Das Wasser steigt immer höher, überspült inzwischen den Bürgersteig. Mein Blick ist nicht mehr länger auf die Straße gerichtet, sondern auf die Bäume über mir. Ein Ast, so dick wie mein Arm, knallt mir direkt vor die Füße. Das Pfeifen des Windes, das Rauschen der Blätter, das spritzende Wasser sind so laut, dass ich kaum bemerke, dass direkt vor mir ein Auto hält.
„Spring rein!“ Schnell schnappe ich meinen Rucksack, schmeiße ihn in den Kofferraum und setze mich auf den Beifahrersitz. „Hier, nimm das auf den Schoß.“ Die Frau drückt mir eine Plastikdose mit Luftlöchern in die Hand. Darin hüpft ein munteres Entenküken umher. Als ich näher hinsehe, bemerke ich, dass es nur ein Auge hat. „Sollte getötet werden, da hatte ich Mitleid. Ich komme grade vom Tierarzt.“, erklärt die Frau. „Ich heiße Bärbel und du?“ Bärbel lebt in Deutschland, gleich hinter der Grenze. Sie liebt Tiere und ist gegen Massentierhaltung. Daher sind die Eier ihrer Hühner das einzige tierische Produkt, das sie isst. „Nur bei Käsebroten und Kaffee mit Milch, da werde ich schwach.“, gibt sie zu. „Wo soll ich dich eigentlich raus lassen?“ „Echternach.“ „Echternach? Was willst du denn da?“ „Wandern.“ Antworte ich. Ich erzähle ihr, dass ich früher oft zum Wandern in Echternach war. Die Natur dort war für mich immer ein Highlight. „Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Wandern!“ Ich schaue mich um. Die steinerne Brücke, die kleinen Cafés und Pizzerien, die Kirche auf dem Hügel… Ich bin in Echternach!
Noch ist es aber zu früh, um schlafen zu gehen und mir knurrt ordentlich der Magen. Ungefähr 35 Kilometer bin ich heute gelaufen. Da ich die Gegend von früheren Touren her schon ganz gut kenne, habe ich schon eine Idee, wo ich ein schönes Fleckchen zum Zelten finden könnte.
Als ich dann endlich meine Schuhe ausziehe beschließen meine Füße, heute keinen Schritt mehr zu tun. Also koche ich in der Apsis. In der Natur schmeckt alles gleich viel besser. Nach dem Essen greife ich zur Gitarre. Ich spiele meine Lieblingslieder, bis die Sonne untergeht. Dann fallen mir die Augen zu.
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