Ich wache auf. Um mich ist alles schwarz. Ist es noch Nacht? Nein, das kann nicht sein, dafür fühle ich mich zu ausgeschlafen.
Ich bemerke einen schmalen Lichtstreifen, der die Dielen unterhalb der massiven Holztüre… Ach ja, ich habe in der Holzhütte neben dem Restaurant übernachtet! Langsam kommt die Erinnerung an
den gestrigen Tag zurück.
Ich packe meinen Kram zusammen und betrete das Restaurant, wo mir gleich eine dampfende Tasse Kaffe und ein Stück Tiramisu gereicht werden. Was für ein Frühstück!
Während des Frühstücks, versuche ich ein wenig mehr über die Gegend in Erfahrung zu bringen, aber das mit den Wanderwegen und der Natur scheinen die Italiener irgendwie nicht so ganz zu verstehen. Immer wieder beschreiben sie mir tolle Routen auf er Straße, wie man mit dem Auto von Örtchen zu Örtchen kommt.
Schließlich gebe ich auf und beschließe, einfach die Straße entlangzugehen, bis ich einen Abzweig auf den Wanderweg finde.
Nachdem ich gut sieben Kilometer den zugemüllten Straßenrand entlang gelaufen bin, kapituliere ich. Von einem Wanderweg keine Spur.
Ich beschließe mir selbst einen Weg zu suchen.
Durch den Müll bahne ich mir einen Weg ins ausgetrocknete Bachtal, das Parallel zur Straße verläuft.
Einen Weg in die Wildnis finde ich von hier aus nicht, die Hänge sind zu steil. Ich folge dem Verlauf des Baches ein paar Kilometer. Die Route gefällt mir sehr gut. Fast fühle ich mich wieder wie in den Alpen. Mitten in der Natur laufe ich auf den hellen Steinen. Zunächst ist die Strecke sehr leicht zu gehen, doch das Bachtal steigt steiler und steiler an. Hinter den ersten kleinen „Wasserfällen“ warten schließlich steile Felsen. Hier steht noch das gelbliche, moderig riechende Wasser, letzte Überbleibsel des Frühjahrsbaches, weshalb ich mir einen Weg am steilen Hang ertasten muss.
Schließlich führt mich der Weg direkt in einen Kanal, der sich zu einem Tunnel schließt. Was ich von weiter weg für eine kleine Untertunnelung halte, entpuppt sich als langer Gang durch die Dunkelheit. Vor mir ist nichts als Schwärze. Meine Taschenlampe ist im Rucksack, den ich auf dem nassen, von glitschigen Algen bedeckten Boden nicht abstellen möchte.
Also taste ich mich an der Wand entlang. Die Wand ist weich, wie mir Stoff bedeckt. Doch der Stoff ist nicht länger an der Wand. Er legt sich in klebrigen Bahnen um meine Hand und zieht Fäden. Was zur Hölle ist das?!
Beim Blick zurück offenbart sich mir die Antwort, die ich lieber nicht gewusst hätte.
Gigantische Spinnweben bedecken die Wand wie klebrige Vorhänge. Sehr einladend.
Weiter geht es durch die absolute, durchdringende Dunkelheit. Alles, was ich höre ist das klacken meines Wanderstabs, das Wasser, dass aus Schächten in der Decke die Wände hinab rinnt und ein auf und ab schwellendes, dunkles Grollen, dass von weit her zu kommen scheint.
Der Gang ist länger als gedacht. Schon gut einen Kilometer laufe ich hier. Langsam werde in der drückenden Stille und Dunkelheit paranoid. Noch immer ist kein Licht in Sicht. Vermutlich ist der Kanal geschlossen und das Wasser rinnt hier nur von oben herein.
Ich beschließe umzukehren. In der Schwärze verliere ich komplett die Orientierung. Mit dem Stab ertaste ich mir wie ein Blinder den Weg durch die Dunkelheit. Ohne ihn wäre ich wohl mehr als einmal gegen die Wand gelaufen.
Ich bin froh, als ich wieder das blendende Licht erblicke. Ich befreie mein Shirt von Spinnweben und meine Socken grob von Algen, bevor ich mich daran mache einen Weg zurück auf die Straße zu suchen.
Ich muss ein ganzes Stück zurücklaufen, doch dann finde ich einen Weg.
Ein trauriges Bild ist es, dass sich mir hier bietet. Zwischen all dem Bauschutt stehen Pferde am Hang, die sich an dem Müll satt fressen, den achtlose Anwohner hier in vollen Säcken entsorgt haben.
Durch den Müll bahne ich mir einen Weg zurück auf die Straße.
Hier entdecke ich auch gleich den Grund, für den Tunnel. Die Straße führt durch ein kleines, heruntergekommenes Dorf. Der Kanal verläuft unterhalb von Diesem.
Ich bin heute schon ein ganzes Stück gelaufen und trotzdem nicht wirklich in die Natur gekommen. So reizvoll die dichten Wälder und wilden Orchideen des Parks auch klingen, den Park muss ich mir einmal gesondert vornehmen und mich im Voraus besser informieren.
Nach drei verschiedenen Mitfahrgelegenheiten, alle drei klischeehafte Hinterwäldler, durch und durch sympathisch aber leider in unverständlicher Sprache sprechend, komme ich schließlich in Foggia an, der nächsten großen Stadt hier in der Gegend, von der ich zugegebenermaßen noch nie gehört habe.
Leider verliere ich unterwegs meinen Kompass, bei dem wohl am Kleber gespart wurde, doch von hier nach Bari ist es nur noch ein Katzensprung von 150 Kilometern.
Das Finde ich wohl auch noch so.
Ich finde eine große Straße, die aus der Stadt zu führen scheint und tatsächlich:
Bari ist ausgeschildert!
Ich hebe ein Reklameblättchen auf, dass an mir vorbei weht, schreibe BARI in großen Lettern darauf und positioniere mich an der Straße.
Ich vermisse die große Pappe, mit der ich gestartet bin. Bei dem Wind ist es schwer, dass dünne Papier so zu spannen, dass es lesbar ist. Und das mit nur zwei Händen!
Trotzdem muss ich nicht lange warten, bis ich mitgenommen werde.
Beim Einsteigen frage ich den Fahrer, bis wohin er mich mitnehmen kann.
Er antwortet. Ich harke noch einmal nach, weil ich glaube, mich verhört zu haben. „Bari“ wiederholt er.
Unfassbar! Ich werde heute noch in Bari ankommen!
Ganz so glatt läuft es dann aber doch nicht. Nach ein paar Kilometern, müssen wir rechts ran fahren. Es gibt ein Problem mit der Kupplung.
Das war’s dann wohl.
Irgendwie kommen wir dann aber doch weiter. Das Problem ist zwar nicht behoben, aber Marco, der Fahrer, sagt er müsse ja irgendwie zuhause in Lecce, das südlich von Bari liegt ankommen.
Bei der Weiterfahrt gesteht mir Marco, dass er schwul ist und mich sehr attraktiv findet. Er greift nach einer Hand. Ich schiebe sie beiseite und erkläre ihm lachend, dass ich mir ziemlich sicher bin, nicht schwul zu sein. Er lacht mit.
Er startet keine weiteren Annäherungsversuche und sein Glück mal zu versuchen kann man wohl niemandem verübeln.
Eine halbe Stunde später bin ich in Bari!
Na gut, noch stehe ich zwar auf dem Ikea Parkplatz am Stadtrand, aber Bari ist Bari.
Zeit, mich um etwas zu kümmern, dass ich bislang ganz vergessen habe, weil es mir noch so weit weg erschien.
Bari habe ich mir als Ziel ausgesucht, weil ich hier Anfang des Jahres schon zum Schüleraustausch war. Nun will ich ein paar Leute besuchen.
Diese schreibe ich nun an. Ich habe die Kontaktaufnahme vor mir hergeschoben, weil es noch zu viele Unbekannten bei meiner Reise gab, entsprechend überrascht sind die Leute, die ich anschreibe.
Ich habe Pech. Meine Austauschpartnerin ist genau die Zeit im Urlaub, die ich in Bari verbringe.
Also frage ich Davide, einen guten Freund vom Austausch, ob er mich beherbergen kann.
Ich warte gut 20 Minuten auf seine Antwort, doch nichts passiert.
Der Ikea schließt. Letzte Chance hier wegzukommen!
Viele Autos sind nicht mehr auf dem Parkplatz. Nachdem ich ein paar Minuten mit meinem Reklameblättchen an der Ausfahrt gestanden habe, beschließe ich offensiver zu werden. Ich spreche die Leute
direkt auf dem Weg zu ihren Autos an.
Die ersten sagen nein.
Die Zweiten fahren nicht nach Bari und die Dritten, zwei ältere Damen, tun, als hätten sie mich nicht gehört.
Ein paar Sekunden später, dreht sich eine von ihnen um und winkt mich zu sich rüber.
Ich steige ein. Sie fragen mich, wohin ich will. Gute Frage. Ich gucke auf mein Handy. Keine neue Nachricht. „In die Altstadt“, antworte ich. Das ist das erste, was mir einfällt, denn in den netten Bars in Meeresnähe, kann ich mir die Zeit gut vertreiben, bis ich eine Antwort bekomme.
Unterwegs fragen mich die beiden Frauen nach meiner Reise. Als ich Bericht erstatte sind sie fassungslos. Sie laden mich zum Essen ein, doch ich lehne ab. Seid Meran bin ich dauer-überfressen. Der Hunger in den Bergen hat dazu geführt, dass ich jetzt in jeden Supermarkt renne um Proviant zu kaufen und auch alles essbare, was mir angeboten wird annehme. Es wird Zeit zu alten Essgewohnheiten zurückzukehren, denn in Süditalien verhungern ist ein Ding der Unmöglichkeit.
In der Altstadt angekommen entsorge ich feierlich mein letztes Trampplakat, dann mache ich mich auf Richtung Meer.
Bei meinem letzten Aufenthalt habe ich viele Leute kennengelernt, weshalb es mich fast etwas überrascht, keine bekannten Gesichter zu sehen, doch ich weiß wo ich Gleichaltrige antreffen kann.
Schnell lerne ich neue Leute kennen und sitze lachend und Cocktail trinkend mit ihnen am Meer.
Fast vergesse ich mein Handy.
Eine neue Nachricht.
Davide ist grade bei seinem Austauschpartner in Deutschland angekommen. Was für ein schlechtes Timing. Aber er kommt in ein paar Tagen wieder und sein Vater ist auf dem Weg, mich abzuholen.
Wow, ich habe es tatsächlich geschafft!
Es wird wohl noch etwas dauern, bis ich wirklich realisiere, dass ich angekommen bin.
Als ich schlafen gehe bin ich noch voll von den Eindrücken des Tages. Wahnsinn, was ich alles an einem einzigen Tag erlebt habe!
Man muss nicht unsterblich sein. Man kann auch zehn Leben in einem einzigen Genießen.
Alles was man tun muss, ist seine Zeit gut nutzen.
Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, mein Abenteuer sei hier vorbei. Mann, ich hatte ja echt keine Ahnung von Süditalien. Es hat nur ein neuer Abschnitt begonnen, nicht weniger spannend, als die Anderen.
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