Heute geht es über den höchsten Berg der ganzen Tour. In über 3000 Metern Höhe werden wir die Grenze nach Italien passieren. Eigentlich ist die Strecke auf zwei Tagesetappen angesetzt, aber unser Budget ist aufgebraucht. Eine Übernachtung auf der Hütte können wir uns nicht leisten und eine Übernachtung neben dem Gletscher kommt nicht in Frage. So gemütlich der Schlafsack auch ist, bei -8 °C in der Nacht wird es darin unangenehm.
Die einzige Chance also: Ganz über den Berg herüber kommen.
Nachdem wir aufgestanden sind und den Schlafsack etwas gelüftet haben, geht es los. Die Sonne scheint uns zuzulachen. Das Wandern fällt uns leicht.
Na gut, so ganz ohne ist die Sonne nicht.
Ich will mich nicht beklagen, denn ich liebe die Sonne und wünsche mir auf keinen Fall den Regen zurück, doch so geschnauft wie heute habe ich noch bei keiner Etappe.
Im kühlen Schatten der ersten Hütte machen wir Rast.
Trotz der Sonne ist der Boden noch eiskalt. Nass geschwitzt, wie wir sind, ziehen wir unsere Jacken an, um uns nicht zu erkälten und damit das Weitergehen in der Sonne kein allzu großer Schock wird.
Als ich meinen Buff ausziehe, den ich zum Schutz vor der intensiven Bergsonne trage, muss Wibke plötzlich heftig lachen. Ich verstehe zunächst nicht warum… bis ich in den Spiegel gucke.
Mir stehen buchstäblich die Haare zu Berge.
Nach einem kleinen Foto-Shooting und der Vernichtung der Proviantration, geht es weiter.
Immer kahler und steiniger wird die Landschaft. Die trockene Steinwüste lässt keinen klaren Weg erkennen, doch das Gelände ist leicht zu begehen. Wäre da nicht die flirrende Hitze. Ironisch, dass der Özi nur wenige hundert Meter von uns entfernt, auf der anderen Seite des Berghanges, von einer Schneelawine verschüttet wurde. Unsere Wasservorräte werden knapp. Uns ist schwindelig vor Durst… oder, weil uns die Sonne seit Stunden auf den Kopf scheint. Hier nützt auch der Buff nichts mehr. An einem Felsen sinken wir nieder. Er ist zu klein, um Schatten zu spenden, hart und kantig. Der Boden vor ihm ist ebenfalls steinig und unbequem, doch dieser Fels erscheint uns wie ein kuschelig weiches Sofa, auf dem wir liebend gerne eingeschlafen wären.
Wir müssen uns zwingen weiterzugehen. Wasser, wir brauchen Wasser!
Da hören wir tatsächlich etwas plätschern. Drehen wir jetzt völlig durch?! Nein! Nur einige Meter entfernt von uns, zuvor von den Steinen verborgen, belebt ein kleiner Schmelzwasserbach die Wüste. Sein Wasser schmeckt so gut, wie keines zuvor. Fast süß erscheint es uns. Wir müssen uns bremsen, um überhaupt noch weiter gehen zu können. Mit gluckernden Bäuchen setzen wir den Weg fort.
Von jetzt an wird es einfacher, denn es wird langsam kühler. Die ersten Schneeflecken tauchen aus dem Meer der Steine auf. Immer dichter werden sie, bis wir erneut vor einem Gletscher stehen. Nur stehen wir dieses Mal unten.
Beim letzten Mal kam es uns vor, als würden wir auf weichen Wolken laufen, die uns unserem Ziel entgegen tragen. Diesmal verfluchen wir den Schnee, weil wir den Weg durch das Einsinken und Zurückschlittern gefühlt dreimal gehen.
Wenn man auf dem Berg wandert und ihn hoch guckt, sieht man selten die echte Spitze, da diese häufig hinter kleineren Felsnasen versteckt liegt. So glauben auch wir immer wieder, es könne nicht mehr weit sein, bis wir oben sind, doch erst beim vierten Mal stimmt es. Mit dem Überwinden eines kleinen Schneehügels sind wir unserem nächsten Zwischenziel plötzlich ganz nah. In einer Höhe von 3019 Metern markiert die Similaun Hütte die Grenze nach Italien. Italien, wo immer die Sonne scheint, wo wir nie wieder durchnässt aufwachen werden, wo es den leckersten Proviant auf der ganzen Welt gibt.
Euphorisch beginnen wir den Abstieg. Tatsächlich sieht hier die Welt gleich ganz anders aus. Die Steine sind keine rund gewaschenen Bachsteine, sondern schroffe Bruchstücke. Spitze Säulen ragen aus der Erde. Die Vegetation verdichtet sich schnell. Nach ein paar Minuten wandern wir auf saftig grünen Wiesen, während wir auf der anderen Seite stundenlang durch die Steinwüste gestapft sind. Vor uns, in der Ferne, taucht ein See auf. Ihn werden wir heute nicht mehr erreichen. Zu weit weg liegt er noch und zu geschafft sind wir. Wir halten nach einem geeigneten Ort für unser Lager Ausschau. Dass uns die Stiere dabei misstrauisch beäugen, missfällt uns, aber die Weide zu verlassen, werden wir heute nicht mehr schaffen.
Wir haben Hunger. Der Proviant ist erneut fast aufgebraucht. Nur noch Brot und Suppe war geblieben. Die zwei Scheiben Brot heben wir uns für das Frühstück auf, also essen wir die Suppe.
Leichter gesagt als getan. Die Grillanzünder sind fast aufgebraucht und wir sind nach wie vor über der Baumgrenze. Fast unmöglich, hier etwas Brennbares zu finden.
Aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch. Wibke muss an ein Buch denken. Die Nomaden in der Wüste haben Feuer gemacht mit dem getrockneten Kot ihrer Kamele. Skeptisch beäuge ich die gigantischen Kuhfladen um uns herum. Einige scheinen tatsächlich gut durch getrocknet zu sein. Und im Grunde handelt es sich dabei ja nur um komprimiertes Heu. Warum nicht! Wir sammeln einige der gut durch getrockneten Haufen ein, brechen sie in handliche Stücke und schichten sie zu einem Haufen, in der Feuerstelle, die ich vorbereitet habe. Als Zündhilfe verwenden wir trockene Grashalme.
Leider verabschiedet sich unterdessen mein Akku, weshalb ich keine weiteren Bilder machen kann. Aber sagen wir es so: die Kacke ist ordentlich am Dampfen… und kurz darauf auch am Brennen. Und wie es brennt! Wie die Kaminbriketts, die es teuer im Baumarkt gibt, brennt der getrocknete Kot minutenlang, raucharm und geruchsneutral. Ohne, dass wir nachlegen müssen, bringt er die Suppe zum Kochen und bereitet uns ein leckeres Abendessen.
Ein schöner Abschluss für den Tag.
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